Entlohnungspolitik

Gedanken von R. Sprenger in der Neuen Züricher Zeitung zu (nachhaltiger) Entlohnungspolitik:

Es gibt keine richtigen Anreize

– Zehn Überlegungen zur Entlohnungspolitik –

Neue Züricher Zeitung 19.06.08

 

Die Entlohnung der Manager ist durch die Finanzkrise erneut zum Thema geworden. Diesmal steht jedoch weniger die Höhe der Gelder im Vordergrund, vielmehr richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Verhaltensanreize, die vom Belohnungssystem ausgehen. Überall bastelt man an neuen Systemen, die „falsche“ Anreize durch „richtige“ ersetzen sollen. Will man jedoch nicht in technokratischen Aktionismus verfallen und lediglich „innerhalb“ der Belohnungslogik denken, dann ist an fundamentale Prinzipien der Unternehmensführung zu erinnern.

1) Märkte sind Koordinations-Arenen; Unternehmen sind Kooperations-Arenen. Das heisst, ein Unternehmen ist um die Idee der Zusammenarbeit herum gebaut. Damit ist ausdrücklich nicht die Addition von Einzelleistungen gemeint. Sondern ein Ergebnis, das im Idealfall nur gemeinsam erzielt werden kann. Individuelle Leistung ist daher im Unternehmen schwer zu isolieren, Resultate kaum persönlich zurechenbar. Und je höher jemand hierarchisch steht, desto indirekter ist seine Wirkung. Als Motto kann daher gelten: „Wenn wir gut gearbeitet haben, dann haben wir alle gut gearbeitet.“ Dann sollte auch jeder, der im Spiel ist, partizipieren. Das Entlohnungssystem ist also so zu strukturieren, dass es vorrangig die Zusammenarbeit stützt, also eher beteiligt als individuell verhaltenssteuernd wirkt. Das heißt nun nicht, dass nicht auch individuelle Leistung finanziell gewürdigt werden sollte. Aber man darf Mitglieder einer Kooperations-Arena nicht über das Bezahlungssystem zu Konkurrenten machen. Wir finden hier in den Unternehmen oft ausgesprochen unglaubwürdige Regelungen, die von vielen Mitarbeitern als widersprüchlich und lähmend empfunden werden.

 2) Zentrale Aufgabe von Unternehmen ist es, Transaktionskosten zu senken, das heisst Märkte auszuschalten. Es ist deshalb daran zu erinnern, dass alle unternehmensintern eröffneten Märkte (Zielvereinbarungen, Budgetplanungen) die erhöhten Transaktionskosten rechtfertigen müssen. Gegen dieses Prinzip der Marktausschaltung verstößt, wer in turbulenten Zeiten und auf volatilen Absatzmärkten laufend die variablen Einkommensanteile nachverhandeln muss. Es ist erstaunlich, wie unbeirrt vielerorts an den Planungsprozessen ruhiger Abschöpfungsmärkte festgehalten wird. Die Energie konzentriert sich dann weiterhin „innen“, fließt zum Gehalt, beschäftigt sich mit allen möglichen Manipulierungsstrategien. Das ist Energie, die das Unternehmen beim Kunden keinen Meter weiter bringt. Wer also möchte, dass sich Mitarbeiter auf ihre Arbeit, auf den Kunden und sachgerechte (nicht notwendigerweise planungsgerechte) Entscheidungen konzentrieren, der wird ein möglichst einfaches Bezahlungssystem mit relativer Marktferne vorziehen. Will man zudem Aktionären mehr Kontrollrechte bei Vergütungsfragen einräumen, dann dürfen schon aus Wettbewerbsgründen keine detaillierten strategiegebundenen Vergütungsformen veröffentlicht werden.

 3) Economy of Speed – das gilt als die ökonomische Signatur der Gegenwart. Geschwindigkeit wird immer wichtiger für Innovation, Produktionszeiten, Logistikprozesse und Angebotserstellung. Im „time to market“ ist das Problem angesprochen: Die Schnellen fressen die Langsamen. Die vorherrschende Managementpraxis hat aber mit der erhöhten Umgebungsgeschwindigkeit nicht Schritt gehalten. So wurde das Führungsinstrument der Zielvereinbarung zwar schon in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts erfunden, gilt aber immer noch als zeitgemäß – obwohl seine Behäbigkeit mittlerweile unübersehbar ist. Denn schnell agiert ein Mitarbeiter nicht, wenn er vor dem Handeln zuerst durch seine Zielvereinbarungen blättert. Das wirft die grundsätzliche Frage auf: Wessen Verantwortung ist es, Leistungsentstehungsprozesse zu steuern? Traditionell wird der „automatischen“ Einkommensdifferenzierung die Funktion der Leistungssteuerung – zumindest partiell  – zugewiesen. Gerade aber die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Leistungssteuerung nicht Aufgabe selbstregelnder Anreizsysteme sein kann, sondern von Menschen. Hier sind Führungskräfte in der Verantwortung. Nur sie können auf Marktveränderungen schnell und situationsbunt reagieren; nur sie können auch den ursprünglichen Sinn von Zielvereinbarungen – Energien zu bündeln – reetablieren und den Gegenwartserfordernisse anpassen. In einer Hochgeschwindigkeitswirtschaft geht es mithin um die Wiedereinführung menschlicher Führung in die Organisation. Das muss das Bezahlungssystem reflektieren.

 4) Die Rede von den „leistungsorientierten“ Lohnsystemen soll Sachlichkeit, Planbarkeit und Wünschbarkeit einflüstern. Aber der Leistungsbegriff ist mehrdeutig. Ein Manager wird daher im Regelfall auch nicht für Leistung bezahlt, sondern für Erfolg. Also für ein digitales „Erreicht/Nicht erreicht“. In diesem Erfolg kann sich durchaus Leistung verbergen, aber jeder Realist weiß, dass wir um Glück und Pech letztlich nicht herum kommen. Der Erfolg eines Unternehmens hängt jedenfalls von einer Faktorenreihe ab, die kaum – und auf keinen Fall vollständig – vom Management zu kontrollieren ist. Das ist nicht unwichtig, wird doch in naiven Kausalitätsschlüssen die direkte persönliche Zurechenbarkeit von diesem Erfolg und dieser Leistung unterstellt. Aber Managementleistung lässt sich weder empirisch messen noch sonst wie objektiv ermitteln. Damit lässt sich auch die Angemessenheit eines Gehalts nicht schlüssig belegen. Konsequent sollten wir nicht von „leistungsorientierten“, sondern von „erfolgsorientierten“ Lohnsystemen sprechen.

 5) Die Bündelung operativer Indizes, die Suche nach Vergleichsmassstäben und Referenzrahmen führen oft zu bizarren Konstruktionen, die nur einer Logik folgen: Sie sollen von Verantwortung entlasten. Genau genommen beschreiben sie die Flucht aus einer zu verantwortenden Subjektivität in die systembewehrte Scheinobjektivität. Und je schärfer Zielvereinbarungen formuliert werden, desto weniger organisieren sie den Prozess der Leistungsentstehung, sondern atmen lediglich den Geist des Belohnens und Bestrafens. Es gibt jedoch kein Entrinnen aus dem hermeneutischen Zirkel, will man den Leistungsbegriffs nicht wirklichkeitsfremd verengen. Soll also das Gehaltssystem nicht nur Erfolg, sondern auch Leistung reflektieren, muss neben dem Messen das Bewerten stehen. Mit Blick auf eine gemeinsame Zukunft ist das entscheidend:  Je relevanter ein Kriterium für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens ist, desto weniger messbar ist es. So sind die Geschwindigkeitsvorteile, die sich aus einer realen Vertrauenskultur ergeben, zwar nicht messbar, aber bewertbar. Und wer die Zukunft sichert, indem er in die Entwicklung von Talenten investiert, reduziert zunächst die Profitabilität. Für das Bewerten aber braucht es abermals Menschen, keine selbstregelnden Systeme.

 6) Noch immer wird das Entlohnungssystem kurzschlüssig Motivierungszwecken unterworfen. Die Stimme der Wissenschaft ist hier eindeutig: Es gibt keine einzige Studie weltweit, die eine dauerhafte Leistungssteigerung durch Anreizsysteme nachgewiesen hätte. Zudem gibt es keine einzige Untersuchung, die eine signifikante Konvergenz zwischen der Entgeltsumme im Management und der Performance des Unternehmens nahe legt. Das kann für den Praktiker nur bedeuten, die Gestaltungsbereiche „Geld“ und „Motivation“ möglichst zu entkoppeln. Natürlich muss ein Gehaltssystem die Attraktivität eines Investitionsstandortes berücksichtigen. Und wer unterhalb des Marktdurchschnitts zahlt, kann eine einkommensinduzierte Suchneigung nicht ausschliessen. Wer jedoch glaubt, Geld allein schösse schon Tore und daher mit hohen Entgelten winkt, der wird vorrangig attraktiv für die Einkommensmaximierer auf den Personalmärkten. Aber die Freude über deren Ankunft wird nicht lange währen: Wer für Geld kommt, geht für Geld.

 7) Bekanntlich wird im Management das Entlohnungssystem primär dafür eingesetzt, die Interessen der Eigentümer mit den Interessen der Manager zu verschränken, mithin in bestimmte Richtung zu lenken. Das Motto dazu: „Tue dies, dann bekommst du das“. Das hat unbeabsichtigte Nebenwirkungen. Denn der Mensch ist ein Freiheitswesen. Erscheint ihm eine Handlung vernünftig, so wird er sie ausführen; erscheint sie ihm unvernünftig, so unterlässt er sie. Finanzielle Anreize unterlaufen das an der Sache orientierte Nutzenkalkül und ersetzen es durch die Orientierung am fremd gesetzten Vorteil. Sie „verbiegen“ mithin das Handeln und drängen zu einem „unnatürlichen“ Verhalten (moral hazard). Langfristig haben sie einen konditionierenden Effekt, der bei jeder Handlung die Konsequenzen in der eigenen Brieftasche kalkuliert. Schon bald konzentriert man sich nicht mehr auf „dies“, sondern nur noch auf „das“. Die psychologischen Folgen sind fatal: immer höhere Reizniveaus, Belohnungssucht, ein schlechtes Kooperationsklima sowie die Vernachlässigung langfristiger und qualitativer Dimensionen der Unternehmensführung. Damit ist klar, dass es keine „richtigen“ Anreize gibt. Jeder Anreiz unterläuft die natürliche Rationalität des Handelnden und erzeugt entsprechende Umgehungs- bzw. Ausbeutungsenergien. Das ist nicht zuletzt beobachtbar nach direkten staatlichen Eingriffen in die Vergütungspraxis der Unternehmen.

 8) Ein freies Verhandlungsgehalt, das zumindest den Freiheitsvorteil für sich veranschlagen könnte, ist im korporatistischen Klima unserer gesellschaftlichen Taxonomie selten. Jedes System aber – und damit auch jedes Entlohnungssystem – ist eine intellektuelle Sünde. Man läuft einem unerreichbaren Ideal hinterher, wenn man Objektivität, Gerechtigkeit, Transparenz und Vergleichbarkeit im Wortsinne und zu je gleichen Teilen systemisch realisieren will. Das heißt, es gibt kein System, das allem Erstrebenswerten gerecht würde und alle Kritikpunkte vermeidet. Wir haben es immer mit mehr oder weniger „schmutzigen“ Mischsystemen zu tun, bei denen man sich je nach Wertmaßstäben lediglich fragen kann, ob die wichtigsten Wünschbarkeiten mehrheitlich abgebildet werden. Im Grunde geht es immer um eine Legierung aus methodischer Brauchbarkeit und Interessenausgleich.

 9) Nachdem man allerorten die Kurzfristigkeit der Renditeerwartungen als eine Ursache der Finanzkrise identifiziert hat, bietet die Beratungsindustrie nun „verbesserte“, d.h.  krisenmodisch angepasste Versionen an – mit langfristigen Anreizen, Plus- und Minuspunkten für bestimmte Leistungsaspekte bis hin zu Bonus-Malus-Modellen, bei denen der Bonus zunächst auf eine Bonusbank eingezahlt und erst z.T. erheblich später ausgezahlt wird. Diese Modelle sind wohl weniger sachdienlich als dem inquisitorischen Zeitgeist verpflichtet. Viele Vorschläge ignorieren nicht nur den Marktausschaltungsvorrang im Unternehmen, sondern satteln mit der Drohung, dass negative Ergebnisse in den Folgejahren zur Nichtauszahlung der Boni führen, auf unterkomplexen Kausalitätsannahmen. Das sind allenfalls Arbeitsbeschaffungsprogramme für Rechtsanwälte und Gerichte. Die Bindung variabler Vergütungsanteile an Konkurrenzvergleiche wird ebenfalls zu erheblichen Legitimitätsproblemen führen. Und grundsätzlich steht der institutionelle Zwang zur Quartalsberichterstattung in eigentümlicher Spannung zur allseits erhobenen Forderung nach Nachhaltigkeit. Alle Versuche aber, die variablen Einkommensbestandteile an die längerfristige Ertragslage des Unternehmens zu binden, um die Interessen des Managements mit jenen der Aktionäre zu synchronisieren, verkennen die Motivlage der meisten Aktionäre: Auch sie wollen möglichst schnell hohe Renditen einstreichen.

 10) Die Wahl eines Bezahlungssystems ist nicht zu entkoppeln von der gesamten Führungskultur im Unternehmen. Traditionen, bereits vorhandene Personalsysteme und der Reifegrad der Führungskräfte spielen eine erhebliche Rolle. Aus diesem Grunde ist ein Bezahlungssystem auch nicht einfach von einem Unternehmen auf das andere übertragbar. Ein Unternehmen mit einem stark fixlohnorientierten Entgeltsystem wird zudem andere Menschen anziehen (und abstossen) als eines mit starken Anreizen. Das gilt auch für Aktionäre: Auch sie können mit ihrer Investitionsentscheidung ihre Sympathien ausdrücken. Wer als Aktionär sein Geld in Unternehmen mit stark anreizorientierten Geldpolitik investiert, hat allerdings bei den zu erwartenden Korruptionseffekten sein Empörungsrecht verspielt. Grundsätzlich kann man also einfach den Markt spielen lassen. Ein Gehaltssystem, dass die obigen Überlegungen aufgreift und die größten Kollateralschäden vermeiden will, kann sich jedoch an folgendem Grundgesetz ausrichten:

Zahlen Sie Ihre Leute gut und fair, – und dann tun Sie alles, damit sie das Geld vergessen.

Die entsprechende Praxis könnte umrisshaft so aussehen: Ein hohes Fixgehalt, in das der Arbeitsplatz-Wert, der Arbeitsmarkt-Wert und die Seniorität einfliessen. Es ist vorteilhaft, auch die individuelle Leistung als viertes Element der Einkommensgerechtigkeit dem Fixgehalt zuzuschlagen. Die entsprechende Vergütung sollte einen breit gefächerten Leistungsbegriff abbilden. Sie sattelt also auf Bewertung, nicht (nur) Messung, und ist daher an das Interpretationsmonopol der Führungskraft zu binden. Der individuelle Leistungslohn sollte insgesamt nicht höher als die anderen drei Teile sein. Dabei kann das totale Fixgehalt durchaus auch in schlechten Zeiten hoch sein. Grundsätzlich sollte es höher als die heutigen Grundlöhne sein, aber tiefer als die aktuellen Gesamteinkommen. Zum Fixgehalt kann ein variabler Einkommensbestandteil (Bonus) kommen, der das Unternehmen als Leistungs- und Solidargemeinschaft reflektiert. Er ist in den meisten Unternehmen mit durchschnittlicher hierarchischer Einkommensspreizung relational zum Fixgehalt zu staffeln. Insgesamt aber sollte er eher zurückhaltend gestaltet sein. Dieser variable Bonus-Bestandteil kann auch als Krisenreaktionsventil funktionieren. Damit wäre eine Partnerschaft im Plus und Minus definiert, ohne das Unternehmerrisiko unangemessen auf die Mitarbeiter zu verlagern. Der Verrentung der Boni kann man mit einem einfachen Informationssystem entgegenwirken, dass die Geschäftsentwicklung für jedermann nachvollziehbar macht.

In Abwandlung eines Satzes von Malraux kann man sagen, im Management ist es wie in der Grammatik: Ein Fehler, den alle machen, wird schließlich zur Regel. Wer an der Regel der individualisierten Anreizsystemen aber festhält, ignoriert, um was es im Unternehmen eigentlich geht: Zusammenarbeit zu niedrigen Transaktionskosten. Wem Anreize wichtig sind, der sollte sie da suchen, wo sie hingehören: auf den Märkten. Wer sein aussergewöhnliches Talent in verschiedenen Unternehmen und wiederholt bewiesen hat, der wird sicher auch mit einem aussergewöhnlichen Einkommen rechnen können.

 

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